Die Bodensonnenuhr, warum sie funktioniert.
Was ist eine Bodensonnenuhr (auch analemmatische Sonnenuhr genannt)?
(Zum Vergrößern auf die Bilder klikken)
Sie besteht aus oval angeordneten Stundenpunkten und einem Datumsbalken in der Mitte. Steht ein Mensch oder auch ein Stab möglichst gerade am richtigen Datum des Balkens, so weist sein Schatten auf die aktuelle wahre Ortszeit.
Die Bodensonnenuhr ist erstaunlich präzise. Bei feiner Ziffernblatteinteilung und schlankem Schattenstab ist eine Genauigkeit im Minutenbereich möglich.
Doch wie lässt sich die Wirkungsweise dieser Uhr erklären?
Dazu ist es nötig etwas weiter ausholen.
Alles bewegt sich alles dreht sich. Die Sonne ist nach unserem aktuellen naturwissenschaftlichen Weltbild das Zentrum unseres Planetensystems. Die Erde als einer ihrer Trabanten umrundet sie in einem Jahr. Der Mond wandert wiederum etwa in einem Monat um die Erde. Wir sehen die Bewegungen von Sonne und Mond aus der Perspektive des Erdbodens, unserer Horizontebene, und orientieren uns nach den Himmelsrichtungen.
Die Erde dreht sich in 24 Stunden um ihre eigene Achse. Daraus ergeben sich die bekannten geographischen Bezeichnungen. An den beiden Polen stehen wir direkt auf der Erdachse. Alle anderen Punkte der Erde kreisen um diese Achse herum. Der Äquator teilt die Erde in eine Nordhalbkugel und eine Südhalbkugel. Meridiane sind Kreise vom Nordpol bis zum Südpol. Für alle Orte auf einem Meridian steht die Sonne zur gleichen Zeit im Süden, Sie haben also identische wahre Ortszeiten.
Zur Festlegung eines Ortes auf der Erde nutzen wir dessen geographische Koordinaten. Das sind zwei Winkel wie sie vom Mittelpunkt der Erde aus gesehen werden. Der Winkel vom Äquator Richtung Pol bis zum Ort bezeichnet die geographische Breite. Alle Orte mit der gleichen geographischen Breite liegen auf einem so genannten Breitekreis. Der Winkel vom willkürlich gewählten Nullmeridian durch die Sternwarte Greenwich bis zum Ortsmeridian bezeichnet die geographische Länge. Das Bild zeigt die Verhältnisse am Beispiel von Wien (Wien ist stark vergrößert dargestellt).
Aufgrund ihrer Rotation hat die Erde die Eigenschaft eines Kreisels. Daher bleibt die Lage der Erdachse im Lauf des Jahres stabil, sie weist also während eines Umlauf um die Sonne immer in die gleiche Richtung. Nun ist die Bahn um die Sonne gegenüber der Erdachse um 23° geneigt. Als Folge scheint die Sonne zur Sommersonnenwende steil von oben auf die Nordhalbkugel und zur Wintersonnenwende flach von unten.
Damit schwankt vom Erdboden aus gesehen die Sonnenbahn während des Jahres am Himmel auf und ab. Am Nordpol läuft die Sonne während des Sommerhalbjahres rund um den Horizont, ihr Schatten ergibt also einen idealen Uhrzeiger, im Winterhalbjahr ist sie unsichtbar. Für mittlere Breiten geht sie im Osten auf und im Westen unter, steht im Sommer Mittags hoch am Himmel und im Winter tief.
Die folgenden Betrachtungen wollen wir durch beispielhafte Annahmen besser erläutern:
als Datum im Jahr nehmen wir den 16. Mai
als Zeit des Tages 16:30 Uhr
als Ort auf der Erde die Stadt Wien
Wir bauen eine so genannte Äquatoriale Sonnenuhr . Diese besteht aus einem Ring mit einem 24 Stunden Ziffernblatt und einem in der Mitte senkrecht stehenden Polstab. bei der Äquatorialen Sonnenuhr ist der Polstab, wie der Name sagt, immer parallel zur Erdachse.
Diese Sonnenuhr positionieren wir über dem Nordpol. Der Polstab steht genau über der Erdeachse. Die Uhr ist so gedreht, dass der Schatten des Polstabes zur Wiener Mittagszeit auf 12 zeigt.
Die Höhe der Sonne ändert sich über das Jahr. Auf dem Polstab verschieben wir nun eine kleine Kugel solange, bis sie beim gewünschten Datum den Schatten genau auf den Ziffernring wirft. Wir nennen sie Datumskugel. Wir können den Polstab mit einer Datumsmarkierung versehen (Im Bild rechts dargestellt, Pfeile markieren den Monatsanfang und die Zeitrichtung ) und so die Schattenkugel für jeden Tag des Jahres richtig platzieren.
Wir stellen Sie auf den 16. Mai.
Hier sehen wir genau von oben auf die Uhr. Bei unserer angenommenen Tageszeit liegt dann ihr Schatten bei 16:30 Uhr.
Unter der Datumskugel stellen wir als nächstes senkrecht zum Boden einen kürzeren und einen längeren Schattenstab, hier dicker und dünner dargestellt. Der kürzere endet unter der Datumskugel, der längere ragt darüber hinaus. Damit soll klar werden, dass die Richtungen der Schatten unabhängig von der Stablänge sind.
Die Schatten der Stäbe weisen zum Schatten der Datumskugel oder drüber hinaus, und sind damit genauso Zeiger auf unsere gewählte Uhrzeit.
Nun verschieben wir diese Kombination parallel vom Nordpol zur Position von Wien. Der Polstab ist damit immer noch parallel zur Erdachse. Jedoch steht er nun nicht mehr senkrecht zur Horizontebene.
Die Datumskugel belassen wir an der gleichen Position .
Eine ähnliche Sonnenuhr (ohne Datumskugel) ist in Peking aufgestellt.
Im Winterhalbjahr (Herbst/Winter) wird sie von unten beschienen.
Auch in Wien hat sich die Horizontebene geändert, und die Sonnenuhr ist um 42° Richtung Norden gekippt.
Nun drehen wir die Schattenstäbe um die Datumskugel, so dass sie jetzt senkrecht zum Wiener Erdboden stehen.
Wir blicken wieder genau von oben auf die nun gekippte Uhr. Die Datumskugel wirft ihren Schatten nach wie vor auf den Ziffernring zu unserer gewählten Uhrzeit. Aufgrund der Parallelverschiebung hat sich daran nichts geändert. Die Schatten der Stäbe weisen zum Schatten der Datumskugel und sind damit auch in diesem Fall Zeiger zu unserer Uhrzeit. Hier die Ansicht genau von oben.
Als nächsten Schritt projizieren wir die ganze Angelegenheit senkrecht nach unten . Dann wird aus dem Ziffernring ein Oval mit Stundenpunkten, die Nachtstunden werden weggelassen. Der Polstab mit dem Datumsmarkierungen wird zum am Boden liegenden Datumsbalken.
Damit haben wir unsere gewünschte Bodensonnenuhr konstruiert!
Denn steht nun ein Schattenwerfer (Mensch oder Stab) am entsprechenden Datum, so steht er genau unter unserer Datumskugel. Sein Schatten weist, unabhängig von der Länge, wieder hin zu richtigen Uhrzeit! Denn von oben gesehen ändert die Projektion nichts an der Richtung des Schattens.
Mit den eingezeichneten Punkten A und U hat es folgende Bewandtnis:
von jedem gewünschten Datumspunkt am Balken über den Punkt A visiert, zeigt es an den Stundenpunkten die Zeit des Sonnenaufgang, über U die Zeit des Untergangs. Dies stimmt zwar nicht 100 % genau ist jedoch ausreichend um das wandern der Auf- und Untergangszeiten der Sonne über das Jahr zu erkennen.
Wichtig ist zu erwähnen, dass die Bodensonnenuhr genau die wahre Ortszeit, also die Sonnenzeit, angezeigt. Die auf unseren Geräten aufscheinende, gleichmäßig verlaufende Zeit weicht von der wahren Ortszeit ab. Grund dafür ist die etwas ungleichförmige Bewegung der Sonne über das Jahr. Die Astronomen nennen diese Abweichung Zeitgleichung. Dazu kommt noch ein Versatz von etwa 5 Minuten, weil wir in der Zone der mitteleuropäischen Zeit (MEZ) leben. Die Kurve zeigt die gesamte Abweichung. Die Sommerzeit ist nicht berücksichtigt.
Zu der auf der Bodensonnenuhr angezeigten Zeit ist die zum jeweiligen Datum zugehörige Abweichung in Minuten dazu zu rechnen oder abzuziehen, dann erhalten wir die MEZ. Wenn Sommerzeit herrscht ist eine Stunde zu addieren.
Eine so erstellte analemmatische oder Bodensonnenuhr befindet sich neben Jubiläumswarte und Waldschule im Wiener Bezirk Ottakring auf den Koordinaten 48.22159 16.26630 (geographische Breite, Länge).
Sie ist frei zugänglich, kann also von Jederfrau und Jederman betreten werden. Eine Informationstafel erläutert die Benutzung.
Hier findet sich eine Beschreibung...
Die Anlage einer solchen Bodensonnenuhr lässt sich verallgemeinern. Die Methode der Projektion funktioniert für alle geographischen Breiten auf der Erde.
Es gibt noch eine weitere Verallgemeinerung. Ausgehend von der richtig geneigten Äquatorialsonnenuhr und dem Polstab mit Datumsmarkierungen kann auch in andere Richtungen, auf anders geneigte Ebenen und sogar auf gekrümmte Flächen projiziert werden. Dabei sind nur drei Bedingungen einzuhalten: der Schattenwerfer muss genau in Projektionsrichtung stehen, die Stundenpunkte und der Schatten müssen sichtbar sein.
Text und Fotos: Karl Melber
Weitere Informationen:
Letzte Änderung: 24.04.2024 15:54